Toespraak van Julia Graf   20-05-2019

Hanser Verlag

Julia Graf
 

Vielen Dank, Koen Haverbeke für die freundlichen Worte, guten Abend Frau Botschaftsrätin, guten Abend meine Damen und Herrn und natürlich guten Abend Ira Wilhelm, ich freue mich über den schönen Anlass, der uns alle in die Jägerstraße geführt hat. Es ist wie immer schön, hier in der belgischen Botschaft zu Gast zu sein - zuletzt ergab sich diese Gelegenheit für Hanser Berlin, wenn ich richtig liege, stimmigerweise bei der Lesung von Stefan Hertmans aus seinem Roman Die Fremde.

Stefan Hertmans, der heute leider nicht in Fleisch und Blut anwesend sein kann, las aus der deutschen Übersetzung, für die Ira Wilhelm heute der Else-Otten Preis verliehen wird. Ich saß im Publikum und war angespannt wie immer, wenn ein Text zu Gehör gebracht wird, den man sehr gut kennt, dessen Entstehung man selbst begleitet hat. Man ist dann ja immer gewärtig, innerlich zusammenzuzucken und sich fragen zu müssen, warum man dieses oder jenes Wort bloß hat durchgehen lassen …

Aber bei dieser Lesung war ich mit jedem Wort, mit jedem Satz entspannter und ja, beglückt davon, wie gut dieser Text auf Deutsch klang, so elegant und selbstverständlich, dass man seinen Kopf darauf verwettet hätte, er wäre von einem deutschsprachigen Autor bereits auf Deutsch geschrieben worden.

Hätte mich jemand an diesem Abend gefragt, wer den nächsten Else-Otten Preis bekommen soll, ich hätte nicht lange nachdenken müssen: Ira Wilhelm. So einfach war es für die Jury leider nicht, sie hat sich durch riesige Stapel sicher ebenfalls sehr guter Übersetzungen sehr guter Romane lesen müssen, um zu ihrem Urteil zu kommen.

Liebe Jury, liebe Bettina Kuba, liebe Lut Missinne, liebe Annette Wunschel: Sie haben eine wunderbare Wahl getroffen und dafür danke ich Ihnen von Herzen.

Ebenfalls danken möchte ich an dieser Stelle dem flämischen und dem niederländischen Literaturfonds, ohne deren großzügige Unterstützung es diesen Preis gar nicht gäbe! Und deren Vermittlung mit dafür gesorgt hat, dass wir bei Hanser Berlin den großen europäischen Autor Stefan Hertmans mit seinem Roman Der Himmel meines Großvaters für uns entdecken und seither verlegen konnten.

Als Stefan Hertmans Karsten Kredel, unserem Verleger, und mir im Sommer 2015 von seinem gerade entstehenden neuen Romanprojekt De Bekeerlinge erzählte, muss ich gestehen, dass sich in mir spontan sanfte Skepsis regte: Die Geschichte einer Proselytin aus dem 11. Jahrhundert erschien mir auf Anhieb einfach nicht als der packendste Romanstoff. Aber während Stefan Hertmans mit - man muss es so nennen - : inspiriertem Leuchten in den Augen über seine Recherchen und Funde sprach und skizzierte, was er vorhatte, sprang der Funke schnell über und wir begriffen, was das für ein brisanter, aktueller Stoff ist, den der Autor buchstäblich ausgegraben hatte.

Die in nur einem einzigen Dokument belegte Geschichte einer Frau, die alles aufgibt, Besitz, Familie, Glauben, Sprache und Identität und zur Flüchtigen wird. Ein Jahr später liegt das Manuskript dann tatsächlich vor:

Vigdis, so heißt die Frau nun, eine junge Normannin aus reicher, christlicher Familie, Vigdis, setzt für die Liebe zum Sohn eines Rabbiners alles aufs Spiel, sie wählt die Freiheit und wird zur Verfolgten: Als abtrünnige Tochter flieht sie vor dem Vater, als konvertierte Jüdin erfährt sie später während eines Pogroms die Brutalität der christlichen Kreuzritter auf dem Weg nach Jerusalem und muss wiederum alle Zelte abbrechen.

In der modernen Rekonstruktion einer tausend Jahre alten Geschichte, gelingt es Hertmans unmittelbar und beklemmend begreifbar zu machen, was es heißt auf der Flucht zu sein, was es heißt, überall fremd zu sein. Gerade in der beinahe gespenstischen Spiegelung unserer heutigen Welt der Migranten, der Geflüchteten und der Heiligen Kriege in der unsicheren, turbulenten Zeit tausend Jahre zuvor, liegt die besondere Kraft dieses Romans.

Einen so vielschichtigen Text mit all seinen Zeit- und Stilebenen, den großen erzählerischen Bögen und seiner Detailversessenheit ins Deutsche zu bringen, ist eine Herausforderung, und niemand wäre ihr besser gewachsen gewesen als Ira Wilhelm. Wie glanzvoll sie alle Schwierigkeiten dieser Übersetzung gemeistert hat, werden wir gleich in der Begründung der Jury und der Laudatio hören, ich halte mich also in meinen Schwärmereien etwas zurück und sage einfach, dass es eine große Freude ist, mit Ira Wilhelm zusammenzuarbeiten.

Sie ist absolut zuverlässig, nicht nur, was die gefürchteten Abgabetermine angeht, man kann sich vor allem inhaltlich zu 100 Prozent auf sie verlassen. Ihrem scharfen analytischen Verstand entgeht keine Vagheit, keine Ungenauigkeit, sie ist ein kritischer Geist, auch sich selbst gegenüber. Sie ist eine ausgebuffte Faktencheckerin, ihre Übersetzungen haben immer toprecherchiert Hand und Fuß. Auf der anderen Seite verfügt sie über eine ungewöhnlich reiche Sprache, einen sicheren stilistischen Instinkt und Rhythmusgefühl, was die Eleganz ihrer Texte ausmacht.

Man kann herrlich und fruchtbringend mit ihr diskutieren, weil sie hartnäckig und unbestechlich ist, aber frei von Ideologie und vor allem frei von Eitelkeit, und es einfach immer nur um den Text geht und seine Perfektibilität. Mit einem Wort: Ich freue mich auf jedes weitere Projekt mit dieser großartigen Übersetzerin.